Das politische Jahr 2003


Das Thema schlechthin war natürlich Schröders "Agenda 2010", ein "Programm" mit Tücken, aber auch ein Schritt in die richtige Richtung (so sagen es zumindest die meisten Wirtschaftsexperten). Der Neoliberalismus ist nun auch bei der SPD angekommen, der ewig gestrige linke Flügel will dies natürlich nicht hinnehmen, da aber Bundes-Gerd gleich hundertfach mit Rücktritt drohte, gab man nach. Ach Quatsch! Man gab nach, weil es einfach keine Alternative gibt, besser "keine Alternative, die eine Chance hätte, überhaupt umgesetzt zu werden". Ein Rücktritt des Kanzlers würde Neuwahlen bedeuten, Neuwahlen würden einen haushohen Sieg der CDU/CDU bedeuten, dies wiederum hieße, dass viele, auch Linke, ihren Sitz im Parlament verlieren würden ... na das war wohl nicht nur eine Schreckensvision, sondern die beste Drohung. DAS hätte Gerd sagen sollen. Dann aber wären natürlich noch heftigere Angriffe der Opposition gekommen und wahrscheinlich noch mehr Tiefschläge und persönliche Attacken. Wenn man keine konstruktive Kritik auf Lager hat, macht man einfach den Gegner schlecht ... eine Taktik, die ebenso alt wie destruktiv ist. An das ewige Geschrei nach Rücktritt eines Regierungsmitglieds hat man sich ja schon fast gewähnt, dumm nur, dass es einfach sinnlos und eine armselige Vorstellung ist, denn man zeigt hierdurch, dass man vom System der repräs. Demokratie keine Ahnung hat. Dass der geschlossene Kompromiss dennoch bei der finalen Abstimmung von der Opposition mit "Nein" belegt wurde ... herrjee ... was soll das?
Dass man die Wirtschaft nicht auf Kosten der nächsten Generationen (Neuverschuldung) ankurbeln soll, ist leider noch ungeschriebenes Gesetz und auch diesmal fiel mir ein Spruch ein, den ich schon Mitte der 90er erfand "Wir haben gestern das Geld für Heute ausgegeben, dass unsere Kinder Morgen erst noch verdienen müssen".

Die Opposition strebte auch dieses Jahr wieder einen "Wahllügenausschuss" an, dies ist mittlerweile schon Usus und wie so vieles auch Unsinn. Es führt einfach zu nichts, außer billiger Propaganda beider Seiten, Zeitverlust, Stellungskrieg und BlaBlaBla.
Apropos Krieg: ein sozialer welcher wäre sicherlich ausgebrochen, hätte sich die von der Union vorgeschlagene "Kopfpauschale" durchgesetzt. Sicherlich ist eine Krankenkassen-Reform dringend notwendig, aber mit "Pauschalen" geht dies natürlich nicht, zumindest nicht fair, sozial und gerecht. Eine 4-köpfige Familie mit geringem Einkommen würde nämlich mit 100 bis 200€ im Monat mehrbelastet, während der gutverdienende Bankangestellte, welcher über, na sagen wir mal 4000€ im Monat verfügt, mal eben locker 350€ spart -> Na das ist doch mal gerecht! Warum? Na die Differenz zwischen der armen Familie und dem reichen Single ergibt unterm Strich ein Plus von bis zu 250€ und die wird der freundliche Mann von der Bank sicherlich schnellstens im Herren-Club oder beim Auto-Tuner lassen, während die Familie das Geld sicher nur gespart hätte. Dumm nur, dass die Summe des "aggrigiertem Privatvermögens" Jahr für Jahr steigt .. wir Deutsche werden zu Schotten und DIES ist DER Killer schlechthin für unsere Wirtschaft. Dazu der viel zu starke Euro und Sense ist. Bevor ich nun aber globaler werden, müssen wir uns noch ein Stück ums Inland kümmern. Deutschland zockt, zockt und zockt noch mehr: die einen, wie Hans Eichel, spielen mit Milliarden, andere nur ein böses Spiel (Toll-Collect) und ich einfach mal eine Runde mit Prozenten: Stoibers Erdrutschsieg in Bayern war abzusehen, wer nun aber einen "Sieg" Edes sieht, hat wohl eine rosa-schwarze Brille auf, denn die CSU hat nicht gewonnen, die SPD hat verloren. Franz "Who's That Guy" Maget kannte kaum einer und wen ich nicht kenne, wähle ich nicht. Die empirischen Untersuchungen ergaben, dass die SPD-Wähler einfach zu Hause blieben und so dem Gegner zu einer Zwei-Drittel-Mehrheit verhalfen. Wenn man nun aber bedenkt, dass die Wahlbeteiligung bei erschreckenden 51% lag und dass ja beim besten Willen nicht jeder überhaupt wählen darf, bekam Stoiber nicht einmal 30% aller Stimmen der Einwohner Bayerns ... es besteht also noch Hoffnung.

Fast alle reden über ein schlechtes Jahr der Regierung, durchaus verständlich, aber immerhin hat die SPD nicht mir einem anscheinend gestörten Herren namens R.B. Schill koaliert, im Gegensatz zu CDU und FDP (ja, die gibt es auch noch). Richter Gandenlos" machte seinem Namen alle Ehre, diesmal aber auf etwas andere Art. Mit seinem Vorwurf, dass Ole von Beust (CDU), seines Zeichens Chef in Hamburg, homosexuell sei, ist nicht nur völlig daneben, frei von Anstand und Stil, sondern vor allem uninteressant und unwichtig. Was jucken mich sexuelle Vorlieben eines Politikers? Solange er nichts Abartiges anstellt und sein Geist noch klar ist, hat eine solche "Diskussion" keine Existenzberechtigung. Von Beust ist nun beliebt wie nie (unlogisch), Schill polit. tot (zum Glück logisch) und der Herrn Kusch (Justizminister mit Vitamin B) immer noch im Amt (zweifelhaft). Dass der "exzentrische" und "mediengeile" Schill überhaupt Innensenator wurde, hat er übrigens CDU und FDP zu verdanken, nur mal so nebenbei erwähnt. Letztere haben eigentlich gar nicht auf sich aufmerksam gemacht, allein, dass Querschläger Möllemann anstelle eines Fallschirms lieber den Zonk in seinen Rucksack packte, sorgte für Aufsehen. Er war sich bis zum Tode treu: ein Spielertyp.
Doch zurück zur CDU: das Sommerloch war fast überstanden, als ein Hinterbänkler unbedingt noch mal laut tönend seine irren Gedankengänge dem Volke unterbreiten wollte. Martin "Mann Oh Mann" Homann brillierte ein mit Unlogik, Halbwissen und verfassungsrechtlich stark bedenklichen Aussagen. Das wirklich Schlimme daran jedoch ist, dass er von vielen Seiten Unterstützung bekam: KSK Chef Künzel z.B. Dieser aber wurde von Verteidigungsministier Struck (SPD) blitzschnell unehrenhaft gefeuert und verschwand in der Versenkung, Homann hingegen konnte sich noch mehrmals medienwirksam in Szene setzen und jede Chance auf Entschuldigung oder Wiedergutmachung erfolgreich umschiffen. Dass er nicht hochkant aus Partei, Fraktion und Bundestag flog, ist nicht nur sehr schade, sondern ärgerlich und deprimierend.

Apropos deprimierend: ach was war das für eine Feier, als Steinbrück (SPD) und Koch (CDU) ihren Hammer-Sieg mit Champus begossen. Die "10 prozentige Kürzung aller Subventionen" gilt als Vorzeigemodell der Zusammenarbeit beider Großparteien hier in Deutschland, es gilt als Signal für die Zukunft, als wichtiger Schritt zu mehr Gerechtigkeit und weniger Verschuldung. Leider waren die kritischen Stimmen sehr leise: "So was hat man schon in der DDR gemacht, damals in den 70ern", "das ist unausgewogen, da machen Subventionsempfänger schon jetzt am Rande der Existenz leben und andere selbst 20% Kürzung aushalten könnten" oder "so was kann auch ein Drittklässler". Die unmittelbare Folge war übrigens die Schließung ein Dutzend Kindergärten und mehrerer gemeinnütziger Einrichtung wie Frauenhäuser, Obdachlosenheimen und Jugend-Clubs.

"Spielplatz" .. geniale Überleitung zum nächsten Punkt: Kinder .... unsere Kinder ... haben einen neuen "Feind": Willi Lemke (Senator für Bildung und Wissenschaft, Bremen, SPD). Dieser nämlich bezeichnete die deutschen Schüler als schlampig gekleidet, freizügig, sexsüchtig und dekadent ... Das ist natürlich vollkommen falsch, denn unsere Schüler bestechen durch elegante Kleidung (Jackett, Hosenanzug, lange Röcke), gutfrisiertes Haupthaar (naturbelassen, Scheitel), hohe Intelligenz (PISA ist eine einzige große Lüge) und leben ihre sexuellen Gelüste erst in der Hochzeitsnacht, nie aber betrunken und bekifft auf Partys aus.

International war die Politische Szene durch den Irak-Krieg bestimmt: während die einen sich gegen einen weltweit, bis auf einige dumme ausnahmen, missbilligten Krieg stellen, untersucht das Merkel die Anal-Region von George "Johnny" Walker Bush und bricht so ein Tabu ("Oppositionspolitiker sollen sich nicht im Ausland negativ über die eigene Regierung äußern"). Das als "deutscher Sonderweg" deklarierte Vorhaben, wird von der überwiegenden Mehrheit der Welt ebenso gehandhabt. Die Politik der USA kann man ganz kurz beschreiben: Protektionismus + Ignorieren von UN-Konventionen und NATO-Gesetzen + künstliches Schwächen des Dollars zu Belebung der eigenen Wirtschaft + gezielte Desinformation + Lügen.
Die konservativen Kräfte dieser Welt sammeln sich aber nicht nur in den USA. Stefano Stefani beschimpft uns Deutsche als "besoffene, stereotype Blonde mit einem hypernationalistischen Stolz". Der ital. Regierungschef Berlusconi bot dem dt. Europa-Abgeordneten Martin Schulz (SPD) eine Rolle als Nazi in einem Film an. Fraglich natürlich, ob die dadurch lahmende italienische Filmindustrie einen Blockbuster landen würde. Innenminister Umberto Bossi blies in einem Interview mit der „La Stampa“ ins gleiche Horn "Berlusconi habe mit der Stimme des Volkes gesprochen." ... der Wahnsinn hat auch in Italien Struktur.

Und da wir grad beim Thema "Wahnsinn" sind: dieser breitet sich aus: der islamische Iran lässt beim kürzlich erst geschehenen Erdbeben zehntausende Notleidende sterben, bevor er Hilfe der westlichen (christlichen!) Welt in Anspruch nimmt. Unweit meiner Heimatstatt wurde eine 900.000€ teure Brücke über eine stillgelegte Bahnlinie gebaut. Ein österreichischer Schauspieler wird mit platten, primitiven Sprüchen Präsident der sechstgrößten Wirtschaftsmacht der Welt und will nun sogar die Verfassung ändern, um beim Bildungs-Etat 2 Milliarden Dollar einzusparen, wo er dies im Wahlkampf noch kategorisch ablehnte. In Serbien wird der Führer der demokratischen Partei erschossen, bei den Wahlen werde die Nationalisten stärkste Partei. In Schweden wird eine Europa-Befürworterin ermordet, das Land stellt sich gegen den Euro. Über Afghanistan redet kaum noch einer, Bin Ladem ist immer noch auf freien Fuß, ebenso Bush, Cheney, Rice, Rumsfeld und Co.
Das politische Jahr war ein schlechtes, ein böses. 2003 ist nun vorbei, die Gesetze, Erfahrungen und Narben jedoch bleiben.


MFG IVI
C2004