Tausche Hirn gegen Geld

Letzten Montag verschlug es mich zu einem Bewerbungsgespräch nach Berlin, ich hatte ein Termin bei „Newi-Code e.V.“ und könnte dort Pharmareferent werden. Ja, ein lügender, menschenfeindlicher Lobbyist – jo, so spielt das Leben.
Nach 45 Minuten monotoner Wartezeit, in welcher ich die Deckenbeleuchtung und das Teppichmuster inspizierte, trat er herein, der Newi-Guru in Weiß, die goldarmbanduhrgewordene Lichtgestalt der Parawissenschaften, der Herr S. Er begann alsbald mir sonderliche Dinge zu erzählen, über die Erfolge der langjährigen Forschung (seit 2006), die Erfolgs- und Zufriedenheitsquote (82,3 %), die Ganzheitlichkeit der Beratung (weniger ans Geld denken, mehr an die Menschen) und letztlich auch über einen sensationellen Nebeneffekt des Newi-Codes: durch die Bildung von Millionen von neuen Hirnzellen und neuronalen Verknüpfungen würde das Kommunikationsproblem zwischen Immunsystem und Limbischen System gelöst – dies könne sogar die Krebsforschung revolutionieren, denn nun könne das Immunsystem den falschen Zellen am falschen Ort ja mitteilen, dass sie aufhören sollen zu existieren.
Eine halbe Stunde lang redeten wir ganz nett, ich versuchte an Infos zu kommen, an Fakten, an Namen, denn genau dies ist sonst nirgends zu bekommen, nicht auf der Homepage, nicht in Foren oder sonst wo im WWW. Ich hatte keinen Erfolg.
Als er kurz den Raum verließ, um ein paar interessante Papiere zu besorgen, dachte ich insgeheim bei mir: „Na, was kommt jetzt? Es handelt sich doch um ein Schneeballsystem? Um reine Kundenanwerbung?“ Doch weit gefehlt: Herr S. legte mir einen Gesellschaftervertrag auf den Tisch, mein jährliches Einkommen würde 120.000 € betragen – wow! Doch nicht so schnell: ja, Newi-Code will seine Forschungs-/Gesundheitsabteilung ausgliedern, in eine eigene Gesellschaft, würde 10 % Anteil behalten, der Rest käme von privaten Sponsoren, das Grundkapital der neuen Gesellschaft würde 400 € (vierhundert!) betragen und ich wäre für alles unbeschränkt verantwortlich. „Unbeschränkt“ – kein Wort von „e.V.“ oder „GmbH“, kein Stellvertreter, keine Mitarbeiter, nichts! Die Gesellschaft würde da gegründet werden, wo ich will, man würde mich in ein kostenloses Newi-Code-Seminar setzen und fertig. Ich mache ein bisschen PR, werbe Kunden an, und dafür gibt’s 10 Riesen im Monat, einfach so, weil ich ja Politologe bin.
Gehirnwäsche ick hör Dir trappsen?
Möglich, aber interessanter ist sicher die wirtschaftliche Seite: ich werde zum Gesellschafter einer neuen Gesellschaft, Newi-Code lagert Schulden in diese aus, ich bin verantwortlich, unbeschränkt haftbar und darf daher blechen, wenn was schief geht. Der Staat schaut in die Röhre, die Gläubiger auch und über mir rauscht das Damoklesschwert der Insolvenz in Windeseile herunter.
Es fielen nicht ein einziges mal Worte wie „Pharmareferent“, „Verkauf“, „Apotheke“ oder „Provision“, nö, ich wäre nur ein Schuldenbüßer und das war’s.
Machen Sie sich mal den Spaß, lieber Leser, und googlen oder bingen Sie nach dem Newi-Code und was sich dahinter verbirgt – sie werden nichts finden.

Irgendwie war ich dann auch nicht enttäuscht, als ich 4 Tage später eine Mail bekam, in der mir der Guru mitteilte, dass ich leider nicht den Job bekäme. Schade aber auch, ich wollte schon immer mal 120.000 € bekommen, Gerichtssäle von der Anklagebank her sehen und bis an mein Lebensende Schulden begleichen, die ich nicht verursacht habe. Ja, das Leben ist wirklich ungerecht.

MFG IVI